Nächster Halt: Zusammenhalt

05.03.2025 | Kontakt Booster

Wie lassen sich alltägliche Situationen inszenieren, die aus einer losen und zufälligen Zusammenkunft eine Komplizenschaft und Zusammenarbeit notwendig machen? Dieser Fragestellung geht ein Begegnungsprojekt des Vereins Kulturagent*innen Hamburg e.V. nach. In »Laboren für Realitätserweiterung« wird Kontakt auf freundliche Weise provoziert. Das Projekt startete mit choreografierten Busfahrten, auf denen Schüler/innen die Fahrgäste mit der Methode des Unsichtbaren Theaters in Interaktion und Austausch brachten. 

Forscherinnen vom Institut für Umgangsformen, die mit Klemmbrett ausgestattet die Fahrgäste einer Linienbusfahrt nach dem schönsten Kompliment befragen, das sie je bekommen haben. Zwei verhinderte Strandurlauber, die ihre Liegestühle im Bus aufklappen und die Mitfahrenden um Hilfe bei der Lösung eines Kreuzworträtsels bitten. Oder ein Bodypercussion-Intermezzo, dessen ansteckender Rhythmus wie eine Welle durch den Bus schwappt und in der stimmgewaltigen Einlage einer Opernsängerin kurz vor der Endhaltestelle gipfelt.

Diese eindrucksvollen Erlebnisse konnten Menschen machen, die auf einer von vier besonderen Linienbusfahrten zwischen Hamburg-Winterhude und dem Hauptbahnhof der Hansestadt unterwegs waren. Denn diese Verbindungen wurden von einer Künstlergruppe gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Winterhuder Reformschule inszeniert. Im Zuge der etwa halbstündigen Busfahrten stiegen sukzessive insgesamt 20 Performer/innen an verschiedenen Haltestellen entlang der Strecke östlich der Außenalster zu. Nach und nach spielten die Schüler/innen ihre kleinen, aktivierenden Inszenierungen, die sich entlang einer Dramaturgie immer mehr verdichteten.

Julia Münz, Teil des mehrköpfigen Projektteams, beschreibt die Ausgangssituation der Interventionen »Umfrage«, »Disco« und »Frühstück ist fertig!«:

Julia Münz beschreibt die Intervention »Happy Birthday, Geburtstagskind!«:

Die Passagiere der inszenierten Busfahrten waren zunächst irritiert, stimmten jedoch in die Aktionen ein, gingen miteinander ins Gespräch, halfen den Performer/innen bei ihren Fragen und Problemen. Es entstand eine offene, kooperative Grundstimmung im gesamten Bus. Fragen wie »Was ist hier los?«, »Ist heute ein besonderer Tag?«, »Was passiert hier alles?« machten die Runde. Die Stimmung im stets gut gefüllten Bus wurde von Station zu Station besser. Einige Passagiere fuhren sogar weiter, als sie geplant hatten, um weitere Aktionen zu erleben.

Matthias Anton, seit sieben Jahren im Team der Kulturagent*innen, erläutert, wie aus einer Irritation heraus eine kooperative Stimmung für Zusammenarbeit und Austausch entstehen kann – und warum mit dieser Irritation keine explizite Aufforderung einhergehen sollte:

Mit dem Projekt erforscht das 2011 gegründete Künstlerkollektiv der Kulturagent*innen Hamburg in insgesamt vier Durchgängen wirksame Methoden für freundliche Irritation. Das Labor »Busfahrt« ist das erste von zwei Settings, mit denen das Projekt »Kontaktbooster« über arrangierte Realitätserweiterungen eine Wahrnehmungsschärfung bei zufällig anwesenden Personen zugunsten eines aufmerksameren Miteinanders bezwecken möchten. Bei der zweiten Laboranordnung wird mit lokalen Akteuren aus Kunst und Bildung ein Performance-Parcours im Stadtteil St. Pauli entwickelt, um Erzählanlässe im Stadtraum zu installieren, die Passant/innen in Interaktionen verwickeln.

Entstehen soll ein Tool Kit mit einer ganzen Reihe von Aktionskarten, die gepaart mit einer Requisitenliste in drei bis vier Sätzen zu kleinen Interventionen im öffentlichen Raum anleiten. Interessierte sollen diese Methoden auch ohne performative Vorbildung in beliebigen Situationen anwenden können, wo Menschen zusammenkommen.

Bilder: © Daniel Ladnar