Urbane Plätze (re)aktivieren

Im Rahmen des partizipativen Ausstellungsprojekts »AUF DIE PLÄTZE, FERTIG, LOS!« hat der Zeitzer Altmarkt diesen Sommer für vier Wochen seine Form verändert. Rund um einen Kubus aus Gerüstbauteilen hat das Projektteam vom Verein Gesellschaftsdenken e.V. mit der Hilfe von 60 Ehrenamtlichen aus verschiedenen Teilen Deutschlands den Platz aktiviert. Wer sich vom ungewohnten Anblick der Architektur anlocken ließ, konnte ein wechselndes kulinarisches und kulturelles Angebot entdecken. Doch erst im begehbaren Inneren des Kubus wurde auf zwei Stockwerken der Kern des Projekts, ein Meinungsspiel zum Mitmachen, sichtbar.

Zekiwa und Zetti – das sind europaweit bekannte Hersteller von Kinderwägen und Süßigkeiten, die Zeitz zu DDR-Zeiten zu einer bekannten Industriestadt gemacht haben. Heute werden die Kinderwägen größtenteils im Ausland produziert und so stehen rund 44 Prozent der Altstadtwohnungen in Zeitz leer. Bereits in den vergangenen Jahren hat der Verein Gesellschaftsdenken e.V. mit Aktionen in Zeitz ein Gefühl für die Stimmung vor Ort bekommen. Es herrscht Frustration, nicht zuletzt aufgrund einer unbelebten Innenstadt und fehlenden Begegnungsorten.

Die Eisdiele vor dem Zeitzer Rathaus am Rande des Altmarkts ist neben der Bäckerei im EDEKA-Markt einer der letzten Orte in der Zeitzer Innenstadt, an dem sich Menschen tagsüber zu einem Kaffee treffen können. Damit ist der Altmarkt wohl ein passender Ort für das Projekt »AUF DIE PLÄTZE, FERTIG, LOS!«, das sich zum Ziel gesetzt hat, den urbanen Raum in Zeitz zu beleben, einen temporären Begegnungsort zu schaffen und so auch Potenziale für Raumnutzung aufzudecken.

Im Zentrum des Projekts – einem selbstentworfenen Gerüstkubus – hat das Projektteam einen Ort zum Verweilen geschaffen: »Als Begegnungsort demonstriert er, was sonst fehlt – ein für jede Person offener Raum, der ebenso Platz für entspannte Geselligkeit, persönlichen Austausch, wie auch für angeregte Diskussionen zu stadtspezifischen und politischen Themen bietet«, erzählt Laura Hartleb vom Projektteam, die das architektonische Konzept im Rahmen ihres Masterstudiums entwickelt hat.

Einmal im Gespräch werden die Besucher/innen dazu eingeladen, das Meinungsspiel zu spielen. Die Idee des Spiels ist einfach und braucht wenig Erklärungen: Die mitspielende Person wählt aus insgesamt neun Werten denjenigen aus, der ihr am wichtigsten ist. Zu jedem Wert gehört eine bunte Fadenspule: Orange steht beispielsweise für Vielfalt, Türkis für Gerechtigkeit und Lila für Heimat; weitere zur Auswahl stehende Werte sind Nachhaltigkeit, Ehrlichkeit, Respekt, Sicherheit, Gemeinschaft und Freiheit.

Nach der Wahl der Fadenspule, spannt die Person mit einem Wurf ihren Wert durch die Streben des Kubus. Die eindrucksvolle, farbenfrohe Visualisierung hat die Kraft, einen Dialog über persönliche Werte wie Respekt oder Gerechtigkeit zwischen Menschen anzustoßen, die sich sonst nicht begegnet wären. Nach und nach entsteht so ein Netz aus Fäden, das von den individuellen Entscheidungen und Überzeugungen der teilnehmenden Personen geprägt ist. Der spielerische Zugang zum Dialog erschafft damit einen Raum, in dem Alltag und Politik miteinander verwoben werden.

Im Gespräch wird es mit dieser kreativen Methode möglich, von einer oft spontanen Kundgabe der individuellen Unzufriedenheit schnell den Weg zu konstruktiven Gedanken einzuschlagen. Das Projekt möchte Menschen anregen, selbst aktiv zu werden oder sich bestehenden Initiativen anzuschließen, die auf Plakaten und durch verschiedene Formate am Gerüst vorgestellt wurden.

Anlaufpunkte wie dieser temporäre Begegnungsort tragen aktiv dazu bei, das Gemeinschaftsgefühl im Stadtraum zu stärken und die eigene Stadt als Ort des Miteinanders wahrzunehmen. Auch etwas Abstraktes wie gesellschaftlicher Zusammenhalt, kann durch offene Gespräche, gemeinsames Handeln und ein aufmerksames Aufeinander-Zugehen im Alltag erfahrbar gemacht werden, davon sind Laura Hartleb und ihre Mitstreiter/innen mehr denn je überzeugt.

Bilder: © Phillipp Reichmann / Gesellschaftsdenken e.V.

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